Der Einzug des Friedensfürsten

Der Einzug des Friedensfürsten.
[Rudolf Isfort, 4.2016]
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Zum Weihnachtsfest 1934 veröffentlichte die Bottroper Volkszeitung (BVZ)[1] eine Weihnachtsbetrachtung,[2] in der Kardinal Faulhaber mühelos einen kühnen Bogen vom neugeborenen Friedensfürsten zum Führer schlug: In Bethlehem war den Menschen die Zeit versprochen worden, in denen Gerechtigkeit und Frieden sich umarmen.

Eine solche Zeit sah Faulhaber Ende 1934 aber nicht. Er wusste sich vielmehr im faulen Frieden des Friedhofs, wähnte sich im Scheinfrieden, der ein getarnter Waffenstillstand, im Lügenfrieden, der ein übertünchter Krieg war; er befand sich im Gewaltfrieden der Ungerechtigkeit.[3] Sein gefährliches Fazit: Ungerechtigkeit und Friede schließen keinen Frieden. So brachte der Bischof seine Einschätzung der europäischen Situation nach dem Versailler Vertrag[4] mit der des nationalsozialistischen Reichskanzlers zur Übereinstimmung.

Nazideutschland hatte bereits im Oktober 1933 Völkerbund und Abrüstungskonferenz verlassen. Öffentlich von einem getarnten Waffenstillstand oder gar übertünchten Krieg zu reden, wagten allerdings nicht einmal der deutsche Reichskanzler und seine Reichsminister. Dafür forderte der Führer vehement die Revision des Versailler Vertrages, wissend, dass eine Revision der Friedensverträge … die Nationen beunruhigen … und energische Widerstände hervorrufen [5] würde: Wer die Friedensordnung des Versailler Vertrages in Frage stellte, stellte Europa zur Disposition! Darum argwöhnte das Ausland, Deutschland bereite den Krieg vor,[6] dachte seine Presse über einen Präventivschlag gegen das Deutsche Reich nach;[7] der Völkerbundsrat erwog Sanktionen gegen Deutschland.[8] Im Parlament berichtete Churchill, dass die Fabriken in Deutschland unter Kriegsumständen arbeiteten;[9] und die britische Regierung stellte fest, dass als natürliches Ergebnis einer fast zweijährigen Herrschaft dieses Regimes in Mitteleuropa … sich ein Zustand nervöser Besorgnis ergeben [hatte], der sich von einem Land nach dem anderen ausbreitet und ein böses Vorzeichen für den Frieden Europas darstellt.[10] Besonders Österreich fühlte sich von Deutschland in seiner Freiheit und Unabhängigkeit ständig bedroht[11] und erwog, den Völkerbund anzurufen.[12] Schon im Mai 1933 hatte Vizekanzler von Papen die moralische Isolierung Deutschlands diagnostiziert.[13]

Die Menschheit [hält] … heute Ausschau nach diesem wirklichen, gerechten und dauerhaften Frieden; allen voran der Führer, den der Bischof zum Frieden … mit mutigen und mächtigen Worten sich nicht nur hatte bekennen hören, sondern der auch unserem Volke … schon zweimal, vielleicht dreimal … die Schrecken des Krieges erspart hatte. Woran Faulhaber da konkret dachte, behielt er für sich. Vielleicht glaubte er dem Reichskanzler bereitwillig, dass wir [nur] haarscharf am Rande des bolschewistischen Chaos, das natürlich jüdischen Hintergrund besaß, vorbei geschrammt waren,[14] wie der Reichskanzler die Zerschlagung der KPD, der SPD und der Gewerkschaften charakterisierte. Vielleicht war der Bischof auch auf die Pressekampagne hereingefallen, die 1934 die staatliche Mordaktion gegen die SA-Führung als Röhm-Putsch in die Nähe eines verhinderten Bürgerkrieges hochstilisierte.[15] Während Bischöfe sich darüber empörten, dass verdienstvolle Katholiken, die dabei ermordet wurden, als Beteiligte am Staatsstreich gebrandmarkt worden waren,[16] zeigte sich das Ausland schockiert über das nachträglich vom Reichstag legalisierte staatliche Morden.[17] Meinte der Bischof aber den in der Presse diskutierten Präventivkrieg, den der belgische Ministerpräsident Wahnsinn und Verbrechen nannte, dann bleibt unerfindlich, was der Führer zu dessen Verhinderung getan hatte.[18]

Das Faulhaber-Bekenntnis zum Friedens-Führer war umso unverständlicher, weil die Nazis schon seit geraumer Zeit die katholischen Verbände, die katholische Tagespresse und den katholischen Glauben in aller Öffentlichkeit bekämpften – dem Konkordat von 1933 zum

Trotz. Wenn aber Faulhaber hoffte, dass seine auf den Reichskanzler gerichteten Friedensstrahler auf die katholische Kirche zurück scheinen würden, dann machte er sich und seinen Lesern etwas vor. Er kannte den öffentlich erhobenen und auch bereits weitgehend verwirklichten Anspruch der Nazis, die nationalsozialistische Bewegung ist das Deutsche Reich, der deutsche Staat geworden.[19] Seit dem 1.12.1933 war sie es gar gesetzlich legitimiert.[20]

Seine politische Analyse bettete der Kardinal in eine heilsgeschichtliche. Das Kind von Bethlehem war schon in biblischer Vorzeit als Fürst des Friedens ersehnt worden. Jedenfalls klammerte [sich] … die Friedenssehnsucht der Vorzeit an diese paradiesische Weltschau. Der setzte der Bischof entgegen die Verkündigung: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede den Menschen auf Erden, die eines guten Willens sind.[21] Die Engel hatten, darauf bestand der Bischof, den Frieden der Ehre Gottes nachgeordnet. In dieser Reihenfolge bekämen die Menschen den Frieden als Christgabe … ausgeteilt.[22] Leider musste Faulhaber aber alle kurzfristigen Hoffnungen dämpfen, denn der Weltfriede könne erst gegen den Feierabend der Geschichte wahr werden. Es werden immer wieder Schwierigkeiten und Rückschläge und blutige Zusammenstöße dazwischenkommen. Diese Einsicht sollte aber weder Regierungen noch jeden einzelnen davon entbinden, für den Frieden einzutreten: Es ist höchster Dienst am Volk und Vaterland, dessen Ehre und Freiheit auf friedlichem Wege zu sichern und ihm die Schrecken eines neuzeitlichen Krieges zu ersparen. Das wichtigste aber bleibt, dass wir über den Frieden den Friedensfürsten nicht vergessen.

Treffender bekamen die Leser die vorherrschende Meinung der Eliten des Deutschen Reiches – nicht nur der katholischen – über den Versailler Vertrag und einen möglichen Krieg nicht vorgetragen. In einem getarnten Waffenstillstand konnten die Kampfhandlungen jederzeit wieder ausbrechen; und der Weltfriede erst am Ende der Tage machte kommende Kriege nahezu sicher. Den deutschen Reichskanzler Ende 1934 aber in einem Atemzug mit dem Friedensfürsten von Bethlehem zu nennen, ihn damit zum Friedens-Führer zu adeln – macht sprachlos. Diese politische Einschätzung, abgerundet mit einer seelsorglichen, ignorierte nicht nur die Ansichten der anderen Europäer, die trotz der bereits seit Mitte 1933 als vollständig gelenkt erkennbaren deutschen Presse in den Zeitungen zu lesen waren,[23] sie blendete nicht nur die reale Lage der Kirche und ihrer Verbände komplett aus, sondern stellte sich auch demonstrativ vor und hinter den deutschen Reichskanzler, dessen öffentlich erklärtes Ziel die Totalität des Staates und die entsprechende Erziehung des deutschen Menschen im Geiste des Nationalsozialismus war.[24]


[1] Der Text ist als Manuskript im Bestand NL Faulhaber Nr. 9210 enthalten. In den Akten Kardinal Michael von Faulhabers (Hg: Volk, Ludwig, Bd. 1, 1917-1934) ist er im Dezember 1934 nicht zu finden. In Rudolf Reisers Buch, Kardinal Michael von Faulhaber – Des Kaisers und des Führers Schutzpatron, München 2000; S. 56), wird der Text als Weihnachtspredigt kurz erwähnt.

[2] BVZ vom 24.12.1934: Weihnachtsbotschaft und die neue Zeit. Alle Zitate (und auch die Bilder) sind diesem Text entnommen, es sei denn, sie sind als Anmerkungen aus anderen Quellen gekennzeichnet.

[3] BVZ vom 11.6.1933: Die kath. Kirche im neuen Staat. In ihrem Hirtenbrief bedauerten es [die deutschen Bischöfe], dass die Siegernationen [von 1918] in verblendeter Selbstsucht die Gerechtigkeit hintansetzen und dadurch Deutschland bis zur Unerträglichkeit leiden ließen. Der spätere Löwe von Münster rief zur Einmütigkeit mit dem Regierungsbeschluss auf, den Völkerbund zu verlassen, und wusste ihn kompatibel mit der nationalen Ehre, dem christlichen Sittengesetz und dem Völkerrecht (BVZ vom 11.11.1933: Bischof Clemens August für Einmütigkeit am 12. November.).

[4] Der Versailler Vertrag beendete den Ersten Weltkrieg. Er belegte das Deutsche Reich mit der Verantwortung für einen Angriffskrieg, lud ihm Reparationen auf und erzwang große Gebietsabtretungen im Westen und Osten des Reiches. Die Reichswehr wurde auf eine 100.000-Mann-Armee reduziert. Seine neue europäische Friedensordnung zeigte sich vor allem aber in den neuen Staaten: Österreich, Ungarn, Jugoslawien, Tschechoslowakei, Polen, Finnland, die baltischen Staaten, u. a. Bis 1933 hatte sich diese Neuordnung Europas stabilisiert, das Deutsche Reich war während der Weimarer Republik wieder in die Völkerfamilie aufgenommen worden, die Reparationen bis 1932 nahezu beglichen. 

[5] BVZ vom 27.3.1933: Der Vorstoß der ‚Kleinen Entente’. Die Kleine Entente war ein loser Zusammenschluss der Tschechoslowakei, Jugoslawiens und Rumäniens, die von Polen und Frankreich gefördert wurde.

[6] BVZ vom 16.10.1933: Die Presse des Auslandes.

[7] BVZ vom 16.5.1933: Spiel mit dem Feuerdie verbrecherische Kriegshetze unserer Gegner.

[8] BVZ vom 11.5.1934: Hendersons vergebliche Bemühungen – der Präsident der Abrüstungskonferenz.

[9] BVZ vom 29.11.1934: Unterhausdebatte über Deutschland – im britischen Parlament.

[10] BVZ vom 29.11.1934: Die Aussprache im Unterhaus.

[11] BVZ vom 19.1.1934: Dollfuß spricht – über das Verhältnis zum Deutschen Reich.

[12] BVZ vom 6.2.1934: Österreich will den Völkerbund anrufen.

[13] BVZ vom 15.5.1933: Wieder deutsches Soldatentum – Papen und der Mittelpunkt deutschen Denkens.

[14] BVZ vom 2.9.1933: Die Proklamation des Führers – auf dem Reichsparteitag des Sieges.

[15] BVZ vom 2.7.1934: Die Aufrührer vom Führer mit einem kühnen Schlag niedergeworfen.

[16] Stasiewski, Bernhard: Akten deutscher Bischöfe über die Lage der Kirche 1933-1945, Bd. 1 1933-34, Mainz 1968; S. 753-754 (Nr. 163: Bares an Hitler, Berlin 12. Juli 1934.).

[17] BVZ vom 3.7.1934: Benesch über die letzten Vorgänge in Deutschland – und weitere Entwicklungstendenz des ganzen Regimes; Was das Ausland sagt; BVZ vom 11.7.1934: Der 30. Juni im Spiegel des AuslandesTaumel böswilliger Verhetzung und hysterische Verleumdung – in der Nachlese Goebbels’; BVZ vom 14.7.1934: Des Führers Kundgebung an das deutsche Volk – u. a.

[18] BVZ vom 7.3.1934: Gegen die Illusionen der Sieger von 1919.

[19] BVZ vom 2.9.1933: Die Proklamation des Führers – auf dem Parteitag des Sieges.

[20] Gesetz zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat vom 1.12.1933.

[21] In seiner Interpretation des Engelworts vom Frieden, sagte der Bischof nichts darüber, was mit den Menschen nicht guten Willens passieren würde, von denen das Deutsche Reich ja umzingelt war.

[22] Faulhaber unterschied zwischen dem äußeren, den die meisten Stellen des Alten Bundes meinen, und dem inneren Frieden, der dem Geiste des Evangeliums näher liegt, den er als Frieden der moralischen Volkserziehung begriff.

[23] Isfort, Rudolf: ’… notwendig wie das tägliche Brot’ Die Bottroper Presse im Nationalsozialismus, Vestischer Kalender 2014; S. 106-126.

[24] BVZ vom 3.7.1933: Erziehung der Menschen für den neuen Staat – Hitler über das Wesen der Revolution.

Faulhaber kritisierte in seinem hier besprochenen Text zwar die propagierte Religion … ohne Christus, also das Neuheidentum der Nazis – aber den Friedens-Führer ausdrücklich in diesen Zusammenhang zu stellen, versagte er sich.