Aus den Tiefen der Hölle – oder der Bottroper Rathaussturm 1919

Rudolf Isfort (4.2020)PDF-Download

Aus den Tiefen der Hölle … oder Der Bottroper Rathaussturm

1. Bottrop 1918/19                                                   

Um 1850 hatte Bottrop 3.200, 1919 72.790 Einwohner.

Die Verheißung auf Arbeit hatte zahlloses Volk … besonders aus dem Osten angelockt und aus der kleinen ländlichen Gemeinde in unglaublich kurzer Zeit … eine industrielle Großstadt gemacht.[1] Die Stadt war 1919 Standort für sieben Zechen, von denen eine, die fiskalische Zeche Rheinbaben,[2] dem preußischen Staat gehörte. Die Zechen gaben etwa 18.000 Männern Arbeit; zusammen mit ihren Angehörigen waren um die 57.000 Bottroper (78%) direkt vom Bergbau abhängig. In der Stadt lebten etwa 56.000 Katholiken (77%) neben 16.000 Protestanten (22%).[3]  In Bottrop regierte die Partei des politischen Katholizismus, das Zentrum (Wahlkreis Borken-Recklinghausen). Die dramatischen Veränderungen der Zustimmung für (M)SPD und USPD vom 19.1.1919 (Nationalversammlung) zum 6.6.1920 (Reichstagswahl) sind (u. a.) die Antwort der Wähler auf das Verhalten der (M)SPD während der Revolution 1918/19, von der die hier berichteten Ereignisse ein kleiner Ausschnitt sind.

2. Der Bottroper Rathaussturm

Am 26.2.1919 wurden dreizehn heldenhafte Verteidiger des Rathauses zu Grabe getragen. Bottrop hatte, wie die Bottroper Volkszeitung (BVZ) hervorhob, noch nie ein Begräbnis von gleichem Umfange, … gleicher Feierlichkeit … (und) gleichen traurigen Umständen erlebt.[4] Was war geschehen?

Am 19.2.1919 wurde das Bottroper Rathaus nach kurzem Kampf zur Übergabe gezwungen: Bewaffnete Massen aus Düsseldorf, Mülheim-Ruhr, Hamborn, Sterkrade Oberhausen und Duisburg beschossen, da der Bottroper Arbeiter- und Soldatenrat deren Ultimatum abgelehnt hatte, das Rathaus zwei Stunden lang, ehe dessen Verteidiger kurz nach 17 Uhr aufgaben.[5]

Die Bottroper Volkszeitung, Redaktion und Verlag kaum mehr als ein Steinwurf weit vom Tatort entfernt, berichtete am 22.2. ( Doppelnummer (42/43), mit dem 19.2. datiert), ausdrücklich auf die Vorzensur des neugebildeten A&S-Rates hinweisend, dass am 20./21. kaum ein Schuss fiel, dass am 19. im Rathaus aber Schränke und sonstige Behältnisse durch Untaten eines lichtscheuen Gesindels erbrochen worden waren, was die Führer der Spartakisten auf das Schärfste verurteilten (21.2.19). Zu den Kämpfen und den Opfern nur der Hinweis: Ein Teil der Gefallenen ist, wie wohl einwandfrei feststeht, nach dem Hissen der weißen Fahne das Opfer eines Missverständnisses geworden[6] – es begannen die Entstellungen und Verfälschungen der Ereignisse.

2.1 Die Vorgeschichte

Im Ersten Weltkrieg, den das Deutsche Reich, interessiert, mutwillig zugelassen hatte, stand Deutschland und seinen Verbündeten von Anfang die ungeheure Übermacht der Feinde gegenüber.[7]  Die wurde durch die unbegreifliche Politik im Laufe des Krieges immer noch vermehrt.[8] Trotzdem meinten Oberste Heeresleitung (OHL) und Reichsregierung, einen Annexionskrieg führen zu können.

[9] In diesem Falle, so Philipp Scheidemann, SPD, im Reichstag(16.7.17),[10] haben wir die Revolution im Lande. Schon am 19.12.1915 hatte er gewarnt: Die Regierung werde wegen der Volksernährung … dem Zorn des Volkes nicht standhalten können. Dennoch waren alle Eliten, so unsere Historiker, völlig überrascht, als der Krieg verloren ging und die Revolution kam.

Der Krieg hatte die Bergarbeiter und ihre Familien verarmt: Bereits Ende 1915 hatte sich ihr auch Anfang 1914 nicht üppiger Lebensstandard um 30% gemindert. Sie wollten eine schnelle Verbesserung ihrer Lage; Deutschland stand vor einer Hungersnot (25.11.18). Das Bürgertum aber diagnostizierte den in weiten Kreisen mangelnden Willen zu intensiver Arbeit und fand, dass wir in Deutschland bei verminderter Lebenshaltung mehr arbeiten müssen (16.1.19). Beides war schon rein physisch nicht ganz leicht bei zugeteilten 300 Gramm Brot je Kopf und Tag, bei Möhren statt Kartoffeln. Fleisch (selbst vom Pferd) oder Fett standen nur in Mini-Mengen (150 Gramm je Kopf und Woche) und höchst selten zum Verkauf (28.11.18). Organisierte Streiks waren faktisch ausgeschlossen, weil die Gewerkschaften kurzfristige Verbesserungen der Lebensbedingungen dem strategischen Ziel opferten, von den Arbeitgebern als Vertreter der Arbeiter anerkannt zu werden. Sie schafften das in Verhandlungen mit dem Zechenverband und den vier Bergarbeiterverbänden (14.11.) und dem Stinnes-Legien-Abkommen vom 15.11.1918. Den Bergarbeitern brachten sie Vereinbarungen[11] über den Achtstundentag, Über-, Neben- und Sonntagsschichten, Mindestlohn – aber auch darüber, dass Eingriffe in die Arbeits- und Betriebsverhältnisse unbedingt zu vermeiden sind – und machten die Gewerkschaften zu den entschiedensten Gegnern der unzufriedenen, streikbereiten Arbeiter (18.11.18).

2.1.1 Die Arbeitsangelegenheiten sind in die Hände des Arbeiter- und Soldatenrates niedergelegt (Flugblatt/Aufruf! (10.11.18)).

MSPD und USPD hatten in ihrem Regierungsvertrag vereinbart, die politische Gewalt liegt in den Händen der Arbeiter– und Soldatenräte, um so die revolutionären sozialistischen Errungenschaften zu befestigen (12.11.18) – in seinem Rückblick auf die Revolution erwähnte Ebert die A&S-Räte schon nicht mehr (3.12.18).[12]

Bottrops A&S-Rat hatte zu keiner Zeit die Absicht, die revolutionären Errungenschaften zu sichern und auszubauen (27.11.18). Als am 9.11.1918 bewaffnete Matrosen und Soldaten aus Essen in Bottrop einen Soldatenrat bildeten,[13] sammelten sich am Nachmittag die Führer der freien Gewerkschaften, solidarisierten sich mit den Soldaten und wählten einen Arbeiterrat, um Ruhe zu schaffen vor einem Revolutionsstrom, der sich auf dem Rathaus einschleichen wollte (Wingold in der BVZ vom 18.11.1918). Arbeiter- und Soldatenrat verschmolzen zum A&S-Rat. Georg Wingold wurde der erste, Sergeant August Morie der zweite Vorsitzende. Der A&S-Rat übernimmt die Exekutive (11.11.18).[14]

Am 11.11. wurde die Bevölkerung in einem Aufruf in der Bottroper Volkszeitung darüber  informiert, dass der Arbeiter- und Soldatenrat, die organisierte Arbeiterschaft, die Amtsverwaltung und die Gemeindevertretung einen Vertrauensausschuss gebildet haben, der alle kommenden Schwierigkeiten der nächsten Zeit lösen sollte. Hörte sich das noch nach einer neuen, revolutionären Gemeindeleitung an, zeigte die Gemeinderatssitzung vom 10.11., dass der Vertrauensausschuss, paritätisch aus Vertretern der beiden Gewerkschaftsrichtungen gebildet (10 Alter Verband, 5 christliche und 5 polnische Gewerkschafter), eng mit dem Gemeinderat zusammenarbeiten, also das politische Gewicht des A&S-Rates begrenzen sollte. Alle Ressorts … der Gemeinde (Polizei, Lebensmittelverteilung usw.) bleiben auch weiter unter ihrer Verwaltung (11.11.18). Kurz darauf war der neue Bürgerausschuss, Vorsitzender Redakteur Haugg, durch drei Vertreter im A&S-Rat beratend (18.11.18) und durch sechs im Vertrauensausschuss mit Sitz und Stimme vertreten (25.11.18). Am 30.11. vereinbarten A&S-Rat und Gemeinderat, dass sich Gemeinderat und Vertrauensausschuss in allen wichtigen Fragen vorberaten, der A&S-Rat sich mit zwei stimmlosen Vertretern an Gemeinderatssitzungen beteiligen sollten (30.11.18). Ganz unspektakulär hatte sich das Bürgertum die politische Mehrheit in Bottrops Führungsstruktur zurückgeholt.

Der Bottroper A&S-Rat machte sich die Aufrechterhaltung der Ordnung auf den Zechen zur zentralen Aufgabe. Arbeiterrat Weber verdeutlichte: Die Zechenverwaltungen werdendie berechtigten Forderungen der Arbeiter erfüllen; im Gegenzug wollte der A&S-Rat dafür sorgen, dass auf den Zechen … gearbeitet werde (11.11.18). Auch die unorganisierten Kumpel gaben sich damit zufrieden, die Bottroper Arbeiter fuhren überall ein (13.11.18).

Mit der Akzeptanz der Bergarbeiterverbände als Vertragspartner durch die Arbeitgeber änderte sich die Mittlerrolle des A&S-Rates grundsätzlich – es waren nicht mehr die berechtigten Forderungen der Belegschaften, sondern die von den Bergarbeiterverbänden ausgehandelten Arbeitsbedingungen, die er garantierte; die Erwartung, nicht zu streiken, blieb. Das merkten die Bergleute der Prosper-Zechen, als auf der Belegschaftsversammlung am 24.11. Generaldirektor Brenner die Forderungen der Belegschaft ablehnte und  Arbeiterausschuss[15]-Mitglied Clever,

unterstützt von Kamerad Veelken (christlicher Verband Bottrop), die Versammlung davon überzeugten, die Arbeit nicht niederzulegen – in Anbetracht des Ernstes der gegenwärtigen Lage (26.11.18). Auf der Belegschaftsversammlung der Vereinigte Welheim schaffte das Bezirksleiter Bitter, christliche Gewerkschaften und Zentrumsparteisekretär Recklinghausen (27.11.18).

Tags darauf lasen nicht nur die Unorganisierten in der Zeitung, der Vollzugsrat[16] in Berlin stellte fest, das Unternehmertum gehe zu passiver Resistenz über (27.11.18).


Seit Freitag [13.12.] stehen die Belegschaften sämtlicher Prosperschächte im Ausstand (16.12.18); Rheinbaben schloss sich an. Von Samstag bis Dienstag versuchten tägliche Massenversammlung von Bergleuten auf dem Neumarkt die erweiterte Forderungsliste durchzusetzen, eigens herbeigeholte Gewerkschaftsfunktionäre (17.12.18) die Arbeiter von ihren Forderungen abzubringen und sich mit den Verhandlungsergebnissen der Verbände zu begnügen. Als dann die Zechenleitung nahezu alle Forderungen der Belegschaft abgelehnt hatte, die Kommissionsmitglieder sich auf die Seite der Arbeitgeber stellten und selbst jeden Weg ablehnten, den die Spartakusleute beschreiten wollten, versuchten Arbeiter ohne Gewalt die arbeitswilligen Kameraden abzuholen und in Ruhe zum Weiterstreiken zu bewegen. Die Versammlung gab der Erwartung Ausdruck, dass die sozialdemokratische Regierung den Streikenden kein Militär auf den Hals schicken werde (17.12.18).

Am Dienstag (17.12.) kamen erneut Tausende von Bergleuten zum Neumarkt (heute Altmarkt/Berliner Platz), öffentlich eingeladen von der Streikkommission für 10:00 Uhr. Mit dem A&S-Rat hatte die aber eine Wahl über den Streik für 11:00 Uhr auf den Zechen vereinbart. Auf den Zechne waren um 11:00 Uhr (fast) nur Arbeitswillige, entsprechend fiel die Wahl aus. Für die Terminüberschneidung machte die BVZ Missbrauch durch eine unberufene Seite verantwortlich und führte auf ein falsches Gerücht die Forderung einer großen Menschenmenge zurück, die zum Rathaus gezogen war, um dort die Herausgabe von mehreren Streikführern zu fordern. Die Betreffenden waren am frühen Morgen auf die Wache geholt worden, weil der Arbeiter- und Soldatenrat mit ihnen die Lage besprechen wollte. Und obwohl die Streikführer inzwischen entlassen worden waren, schleppten einige besonders aufgeregte Leute Herrn Wingold auf den Neumarkt, wo er dann sprechen und zur Vernunft mahnen durfte (18.12.18). Der Essener A&S-Rat vermittelte beim Bottroper A&S-Rat und auf dem Neumarkt (19.12.18). Wie schon an den Vortagen war auf den Straßen ein überaus lebhafter Verkehr. (18.12.18).

Aus Berlin kamen im Dezember beunruhigende Nachrichten:[17] Auf dem Reichsrätekongress, 16. – 20.12.1918, warnte der Delegierte Basch (= Otto Braß) vor der Gegenrevolution (18.12.18).

Der Kampf um den Bottroper A&S-Rat spitzte sich zu, als am Freitag (10.1.) eine Abordnung der Unabhängigen und des Spartakusbundes auf dem hiesigen Rathaus verlangte, den A&S-Rat aus den drei sozialistischen Parteien paritätisch zu besetzen, christliche und polnische Gewerkschafter und Bürgervertreter aber auszuschließen (12.1.19). Dabei kam es, wie die BVZ am 25.1. meldete, zu Übergriffen durch die Gruppe Korbel.[18]  Am nächsten Tag forderte eine große Menge auf dem Neumarkt (heute Altmarkt/Berliner Platz) den neuen A&S-Rat, erklärten die Vertreter der Unabhängigen und der Spartakusgruppe, jeder der arbeiten wolle, könne es auch. Trotzdem waren wieder mehrere Schachtanlagen von kleineren Trupps mit Gewalt stillgelegt worden. Am Sonntag (12.1.) demonstrierten die drei sozialistischen Parteien gemeinsam und wiederholten die Forderung nach Neuordnung des A&S-Rates (12.1.19). Auf einer turbulenten Sitzung am 14.1. blieb es dann aber bei der alten Zusammensetzung.

Allerdings wurde zum Vorsitzenden anstelle des zurückgetretenen Wingold der Mehrheitssozialist Bünte gewählt. Es kam zu Störungen bei bürgerlichen Wahlveranstaltungen. Bottrop war ohne Wasser, weil das Mülheimer Wasserwerk streikte. Es fiel den ganzen Tag über aber nicht ein einziger Schuss (15.1.19). Schreckschüsse in die Luft gab dann am 13. Januar eine Kompagnie (Infantrie mit Maschinengewehr-Abteilung) Soldaten – angefordert auf Initiative des Bottroper A&S-Rates[19] – des Generalkommandos Münster (14.1.19) noch am Ankunftstag ab, wegen der bedrohlichen Haltung des Publikums, während Zivilisten in die Menge schossen. Dabei wurde die 14jährige Emma Lasar tötlich getroffen.[20]

Kriegerisch waren die Meldungen aus Berlin, wo die Regierung immer ausschließlicher auf militärische Lösungen setzte, dabei den Militärs weitgehend freie Hand ließ: Die Stunde der Abrechnung naht (11.1.19).Am 12.1. lasen die Bottroper in ihrer BVZ über den Entscheidungskampf bei Büxenstein, Großdruckerei im Zeitungsviertel:

Ein Teil der Spartakisten warf jetzt die Waffen weg und bat um Gnade, doch verhallten die Rufe in dem unbeschreiblichen Gemisch von Waffenlärm ungehört. Die Regierungstruppen erschossen Gefangene standrechtlich zur Abschreckung (12.1.19) und ermordeten Emissäre.[21] Natürlich war das nicht wahr, wie Noske[22] und Oberst Reinhard[23] versicherten (14.1.19).
Aber es war nicht nur Berlin, wo Arbeiter gegen Regierungstruppen kämpften: Sie bekämpften die Gegenrevolution – wie sie sagten – auch in München, Stuttgart, Hamburg, Dresden, Leipzig, Düsseldorf, Mülheim, Duisburg, Dortmund, Hagen, Ickern-Castrop, Buer und in Dorsten.

2.1.2 Die Heimat soll auch wirtschaftlich Euer Besitz und Erbe werden. [24]
Der Kampf um den Bottroper A&S-Rat wurde seit Jahresanfang 1919 von der Essener Sozialisierungsbewegung überlagert. Sie ging aus vom Essener A&S-Rat, der, aufgeschreckt durch die Streikbewegung im Ruhrkohlenbergbau (12.1.19), der Meinung war, dass die Verkündigung der Sozialisierung und … ein Rätesystem den Massen die Beruhigung bringen würde. Am 13.1. tagte darum die Konferenz sämtlicher Arbeiter- und Soldatenräte des rheinisch-westfälischen Industriebezirks, zusammen mit den freien Gewerkschaften und den drei sozialistischen Parteigruppen; die Regierung hatte Regierungskommissar Hue und Unterstaatssekretärs Giesberts geschickt. Die Konferenz wählte die Neunerkommission, eine Kommission aus je drei Vertretern der drei sozialistischen Parteigruppen, die die Sozialisierung des Bergbaus… auf der Grundlage einer Räteorganisation … in den nächsten Tagen realisieren sollten. Hue berichtete der Essener Konferenz, dass die Regierung nur durch die Wirren in Berlin an der Ausführung der Sozialisierung verhindert werde (18.1.19). Bereits die Ankündigung der Sozialisierung ließ den Streik verschwinden (18.1.19).
Die MSPD-Regierung erkannte die Neunerkommission nicht an, war gegen jede Sozialisierung, beauftragte aber eine eigene Kommission damit, sie vorzubereiten. Die Regierungskommission kündigte am 3.2. ihre Arbeit auf, weil sie Zweifel am Ernst der Sozialisierungsabsichten der Regierung hegte.[25]

Am 6.2.19 verlangte die Konferenz der A&S-Räte des Ruhrkohlengebietes die Anerkennung der von ihr gewählten Neunerkommission durch die Regierung bis zum 15. Februar – andernfalls drohte sie mit dem Generalstreik. Ferner protestierte die Konferenz gegen erneute weitere Zusammenziehung von Militär zum Industriegebiet (8.2.19). Als dann von Watter, Befehlshaber des 7. Armeekorps in Münster, den Generalsoldatenrat seines Befehlsbereichs am 11.2. gefangen nehmen und auflösen (13.2.19) ließ, stand das Industrierevier vor schweren Konflikten (17.2.19). Am 14.2. trafen sich die Arbeiter- und Soldatenräte des Industriereviers in Essen und verlangten mit überwältigender Mehrheit ultimativ die Wiedereinsetzung des Generalsoldatenrates, die Bestrafung von Watters und die Zurückziehung … der Regierungstruppen. Andernfalls drohten sie mit Generalstreik am 18.2. Sie wählten eine Kommission für die Vorbereitung des Generalstreiks und eine zweite zur Vorbereitung der Verteidigung des Industriegebiets. Vertreter des Generalstabs Münster (Hauptmann Schmidtmann und ein Leutnant), die an der Sitzung teilnahmen, wurden als Geiseln festgehalten. (17.2.19). Die Antwort v. Watters kam am 15.2.: Kämpfe zwischen Spartakisten und Regierungstruppen in Hervest-Dorsten (17.2.19). [26] Daraufhin riefen in Hamborn, Essen, Düsseldorf, Mülheim, Oberhausen, Sterkrade u. a. Städten Kommunisten und USPD am 17.2. den Generalstreik aus. Revolutionäre Arbeiter sammelten sich in Mülheim und zogen, einige mit schweren Waffen, über Sterkrade nach Hervest-Dorsten (18.2.19). Diese Beschleunigung der Entwicklung überraschte auch die Arbeiter- und Soldatenräte des Industriereviers und der A&S-Rat Essen wandte sich am 17.2. an die Regierung in Weimar mit der dringenden Aufforderung, einen Regierungsbeauftragten mit Vollmachten zu Verhandlungen in den Industriebezirk zu senden – Truppensendungen sind unter allen Umständen zu vermeiden. Luther, Essener Oberbürgermeister und späterer Reichskanzler, unterstützte den A&S-Rat (18.2.19). Regierung und Generalkommando wollten aber keine Verhandlungslösung: Die Reichsregierung hat alle Zivilbehörden angewiesen, … bei den zuständigen Garnisonskommandos bzw. Generalkommandos militärische Hilfe anzufordern (18.2.19). Und auch die Bergarbeiterverbände forderten die Regierung unverholen zum Militäreinsatz auf (19.2.19). Die MSPD-Mitglieder verließen die Neunerkommission.

Die revolutionären Arbeiter, nur lose gelenkt durch die Kommissionen für den Generalstreik und die Ruhrrevierverteidigung, versuchten, den Generalstreik durchzusetzen. Das war in Bottrop angesichts der bewaffneten Zechenwehren und Sicherheitsleute nicht ganz einfach. Die Bottroper Sicherheitswehr hatte zudem den Nachschub der revolutionären Arbeiter nach Dorsten unterbunden,[27] war also sowohl für die Streikbewegung als auch für die Ruhrrevierverteidigung ein großes Hindernis. In die Bottroper Polizeiwache drangen daraufhin am 17.2. etwa 12 Mann gegen 2 Uhr ein, wurden aber bald wieder hinausgeworfen. Danach kam es zum Kampf, bei dem beide Seiten einen Schwerverletzten, die Angreifer einen Toten zu beklagen hatten; drei von ihnen wurden gefangengenommen (18.2.19).[28] Außerdem  entwaffnete die Volkswehr am 17.2. 5 Spartakisten auf Prosper 2; in der Nacht vom 18. auf den 19. hob sie die Spartakistenwache auf Prosper 1 aus, nahm 17 Arbeiter gefangen und ließ einen toten und zwei verwundete Arbeiter zurück (Kommissar Breuer am 25.2.). Die Gefangenen kamen ins Bottroper Polizeigefängnis.
In Bottrop war ein neuer A&S-Rat/Machtwechsel fällig, mussten gefangene Genossen befreit werden.

2.2 Der Sturm auf das Bottroper Rathaus

Die erste Schilderung der Ereignisse vom 19.2. veröffentlichte die BVZ am 21.2.: Leider haben die Kämpfe schwere Opfer an Menschenleben gekostet. Im Marienhospital liegen 13 Tote. Die Angreifer haben eine Reihe [eigener] Toter nach auswärts mitgenommen.

Den wichtigsten Beitragt veröffentlichte die Zeitung am 27.2., als sie über die Gemeindevertretung vom 25.2. berichtete, an der auch der Arbeiterrat teilnahm und der Vorsitzende Beigeordneter Dr. Brinkmann die Verhandlungen eröffnete,die von zwei Themen beherrscht wurden: von der Schilderung der Kämpfe und ihrer Vorgeschichte durch Herrn Kommissar Breuer und von der Stellungnahme zu gewissen Gerüchten und Missstimmungen darüber, dass die Verwaltung[29] nicht anwesend gewesen sei, während die Beamten[30] Blut und Leben geopfert haben (Gemeindevertreter Hegermann).[31]

2.2.1 … sahen zu, wie unseren Beamten die Schädel eingeschlagen…

Kommissar Breuer hörte, nachdem das Ultimatum des Hauptanführers aus Sterkrade schon eine Stunde abgelaufen war, die ersten Artillerieschüsse um 1/44, der sechste Schuss war ein Volltreffer auf dem Rathausturm. Dabei wurde auch die Gasleitung zerstört, sodass der ganze Keller des Rathauses voll Dunst war, der sich nach oben verbreitete. Um 6 (18:00) Uhr ließ ich die weiße Fahne vom Meldeamt aushängen – danach sind aus dem Rathaus heraus noch 5 Schüsse gefallen. Bis zum Hissen der Fahne hatten die Spartakisten eine Menge Tote, so Breuer, wir nur einen, den Gendarmeriewachtmeister Hundt (und zwei Verwundete und einen Verschütteten). Als wir uns ergeben hatten, wurde sofort gerufen: Spartakisten und Unabhängige heraus![32] Es traten darauf vor: Ender, Piefke, Sittek, Ackermann[33] und Banko, denen passierte nichts. Sie sahen zu, wie unseren Beamten die Schädel eingeschlagen und Arbeiterrat Werner totgeschlagen wurde (27.2.19).

Für die BVZ bestanden die Untaten eines lichtscheuen Gesindels vom 19.2. darin, dass Schränke erbrochen und durchwühlt worden waren, Akten und Papier …  auf dem Fußboden im Rathaus lagen (22.2.19). Am 23.2. (Sonntag) erlebte Bottrop den Einmarsch des Freikorps ohne Widerstand – ohne die Ereignisse nach der Kapitulation auch nur zu erwähnen (24.2.19). Nachdem die BVZ aber für den Rückblick auf die Ereignisse der letzten Woche … zahlreiche mündliche Mitteilungen ausgewertet hatte, gab sie eine völlig andere Darstellung: Als [die Besatzung] sich ergeben hatte, wurde sie auf dem Rathausplatze auf einen Haufen gestellt, beschossen und mit Gewehrkolben buchstäblich totgeschlagen (25.2.19). Diese Zusammenfassung ist, gemessen an den Zeugenaussagen vor dem Essener Schwurgericht, einfach falsch. Mindestens drei Zeugen haben gesehen, dass Polizeisergeant Jandt beim Herauskriechen aus dem Kellerfenster zum Hof durch Kolbenschläge getötet wurde; nicht einig waren sie sich, ob das im Keller oder beim Herauskriechen geschehen ist. Ein Zeuge sah zwei Leichen auf dem Platz, ein anderer mehrere im Keller. Hausmeister Hollenkamp sagte aus, dass ein Polizeibeamter – wieder auf dem Hof – einen Schlag bekam, stürzte, erneut aufstand, einen Schlag mit dem Gewehr auf den Kopf bekam und liegen blieb; damit legte er den Grundstein für die besonders blutrünstige Erzählung über den Keienborg-Tod.[34] Andere Zeugen berichteten, dass sie unbewaffnet nach draußen gingen, dabei beschossen wurden. Ein Zeuge, der nur zufällig bei den Angreifern war, wie er erklärte, sah, wie ein Wehrmann schon erschlagen am Boden lag und ein Polizeibeamter neben ihm niedergeschlagen wurde. Nicht ein Zeuge brachte das Erschlagen mit einem vorausgegangenen Zusammentreiben der Wehrlosen in Zusammenhang. Alle beließen es in der Zeit unmittelbar nach der Kapitulation und an verschiedenen Orten. Das Aufstellen der Verteidiger zu einem Haufen, zu Reihen, um dann auf sie zu schießen oder einen Beamten nach dem anderen mit dem Kolben zu erschlagen, hat es nicht gegeben. [35] Das Zusammentreiben, Aufstellen in Reihe gab es erst, als ein Teil der Rathausverteidiger nach Sterkrade/Mülheim abgeführt werden sollte. Gewerkschaftsbeamter Veelken-Bottrop, christliche Gewerkschaften, erwähnte das Erschlagen in seinem Bericht für den Untersuchungsausschuss mit keinem Wort (Drucksache 3228; S. 5616/17).

Am 26.2. horchte die BVZ auf wegen der bemerkenswerten Gedanken des evangelischen Pfarrers Lichtenberg, der während der Beisetzung der 13 Opfer und mit Blick auf das in den vier Kriegsjahren geflossene Blut fragte, warum diese Opfer? – und antwortete: Wir richten nicht. Es wäre falsch, einzelne Personen, Klassen oder Parteien anklagen zu wollen (26.2.19). Beigeordneter Brinkmann machte sich am 25.2. Gedanken über den Grund für die große, furchtbare Erbitterung bei den Spartakisten – zu den Todesfällen sagte er nichts. Hegermann hatte in der gesamten Bürgerschaft … nur Worte des größten Lobes über unsere Verteidiger gehört, aber keine über ein Blutbad. Vorsitzender Arbeiterrat Bünte sah zwar durch die Bottroper Vorgänge für die Truppen jetzt den moralischen Weg offen, den ganzen Landstrich von den Spartakisten zu säubern, von irgendwelchen Morden bei der Eroberung des Rathauses wusste er nichts zu sagen (27.2.19).

Es waren kurz darauf dann die vier Bergarbeiterverbände,[36] die den Generalstreik abwenden wollten, indem sie ihren organisierten Bergarbeitern eröffneten, sie würden zu politischen Putschen zugunsten der Bolschewiki von Elementen verleitet, die wie Raubmörder in Bottrop hausten und Gefangene abschlachteten, wie dies noch nicht einmal von Senegalesen in der Kriegszeit geschah (1.3.19). Es hätte ihre Einschätzung nicht geändert, wenn sie die Feststellung Ernst Enders im neuen Gemeinderat[37] der kurz darauf zur Stadt aufgestiegenen Gemeinde Bottrop gekannt hätten, der Kommissar Breuer attestierte, dass sein Bericht nicht der Wahrheit entspricht: …  Herr Breuer hat einen ganz falschen Bericht in dieser Sache gegeben (26.3.19). Ende des Jahres schaute das Freikorps Lichtschlag auf  Vorgänge zurück, bei denen 13 Polizeibeamte und Bürger in gemeiner Weise erschlagen worden waren.[38] Im Frühjahr 1920 machte es die Polizei-Inspektion amtlich, dass am 19.2.1919 die hereinströmenden bewaffneten Massen … eine Anzahl Polizeibeamte und Sicherheitsleute wie Tiere totschlugen und niederknallten.[39]An die Verfälschung der Fakten vom 19.2.19 durch die vier Bergarbeiterverbände kommt nur noch heran, was Schulze-Pfaelzer[40] dazu zusammenfabulierte: Einen Tag nach dem Essener Gewaltbeschluss[41] erlebt Bottrop ein Blutbad, das in der Geschichte des ersten revolutionären Ruhrkampfes nicht seinesgleichen findet. Dieser Massenmord, dieses Massaker lässt sich nicht aus ihrem (der Radikalen) Schuldbuch löschen. … Die Aufständischen dringen in das demolierte Gebäude, entwaffnen die Sicherheitsmannschaft und erschlagen mehr als ein halbes Hundert mit Eisenstangen,[42] Knüppeln und Gewehrkolben. Den ersten Teil des Schulze-Pfaelzer-Zitats übernimmt eine im Februar 2019 im Bottroper Buchhandel ausgelegte Schrift,[43] lässt das grauenvolle Blutbad an den wehrlosen Verteidigern aber so ablaufen, dass 13 der Männer zumeist mit dem Gewehrkolben erschlagen wurden (WAZ: 19.2.2019). Reininghaus, der mit Quellen fachgerecht umgeht, kann dagegen festhalten, nirgendwo in Westfalen verlief die Geschichte der Arbeiter- und Soldatenräte … dramatischer und wechselvoller als in Bottrop. … Der spartakistische Sturm auf das Rathaus mit 13 Toten am 19. Februar beseitigte den alten Rat.[44]

Nimmt man die Aussage Breuers wörtlich, dann wurden drei Polizeibeamte[45] und Arbeiterrat Werner totgeschlagen. Die toten Rathausverteidiger wurden ins Marienhospital gebracht und untersucht. Dr. Zumhasch, Marienhospital, berichtete dem Essener Schwurgericht von 18 Verletzten, einige mit Verletzungen durch Kolbenschläge. Über die Toten sagte er nichts (26.7.19). Die Ergebnisse der Obduktionen hätten Aufschluss über Todesart und (vielleicht) -zeitpunkt gegeben, sind aber nicht mehr auffindbar.

2.2.2 … von zügellosen Banden angefallen und geplündert
Beigeordneter Dr. Ewald  Brinkmann, in den Funktionen des Amtmanns, hatte gesehen, dass die Gemeinde Bottrop von zügellosen Banden angefallen und geplündert worden war, die Willkür, Raub und Terror brachten – darum Ehre, dreimal Ehre den braven und tapferen Verteidigern unseres schönen Rathauses. Er selbst hatte sich die Frage gestellt, ob angesichts der Übermacht der Angreifer die Verteidigung des Rathauses möglich und nützlich wäre, und die folgenschwerste Entscheidung meines Lebens so beantwortet, an der endgültigen Besprechung [darüber] nicht mehr bis zum Schluss teilzunehmen, sondern sich mit dem Kollegen Schmitz aus dem Rathaus abzusetzen: Er glaubte nicht an einen Angriff; die  Arbeiterräte der Unabhängigen, Piefke und Ender, hatten für die Übergabe des Rathauses plädiert; überhaupt lag die Entscheidung [darüber] dem Arbeiter – und Soldatenrat ob.[46]

Brinkmann hielt sich mit dem Kollegen Emil Schmitz erst bei Verwandten auf, die ihm sagten, das Rathaus ist eingenommen und die Beamten sämtlich erschlagen, dann in Essen, dann in Recklinghausen, schließlich – samstags – in Gladbeck, wo ein Oberst ihm erklärte, dass die Spartakisten Verhandlungen angeknüpft hätten, die auch mit einem Abkommen beendet worden wären, sodass ein Kampf wohl nicht stattfinden würde. Brinkmann entschied daraufhin, sich nicht mit derartigen Horden, … Räubern, Plünderern und Mördern, … an einen Tisch zu setzen, sonden zeitnah mit dem Freikorps Lichtschlag nach Bottrop zurückzukehren.

Beigeordneter Schmitz bestätigte: Ich schließe mich den Ausführungen meines Kollegen an (27.2.19).

Nahrungsmittelnot bedeutet Plünderung und Raub, wusste Reichskanzler Ebert (11.11.18). Diebstahl, Plünderung und Raub waren nicht nur eine Folge der seit Jahren andauernden Hungersnot, sondern auch der teilweise ungeordnet vollzogenen Rückkehr der Soldaten, die sich eigenmächtig von der Truppe entfernt hatten und nun, teils noch bewaffnet, in die Heimat zurückfluten und dort die A&S-Räte vor besondere Aufgaben stellten. Schwerste Strafen gegen Plünderer von Verpflegungszügen und -magazinen (22.11.18) verlangte der Rat der Volksbeauftragten; und der Vollzugsrat erwartete von den A&S-Räten, schärfste Maßnahmen gegen die unehrlichen Heeresangehörigen und Hehler zu ergreifen (28.11.18). Selbst Hindenburg konnte nicht umhin, sein Heer zu mahnen, lasst Euch nicht verführen, den Truppenteil vorzeitig und eigenmächtig zu verlassen (30.11.18).[47] Der Bottroper A&S-Rat drohte am 11.11. in einem Aufruf, wer plündert oder raubt, wird nach Verhör erschossen – ähnlich der nach der Rathausbesetzung neu gebildete (20.2.19). In Bottrop wurde niemand wegen Plünderns erschossen.

Am 24.2. ermunterte die BVZ ihre Leser, einwandfreies Material für eine ausführliche Berichterstattung über Plünderungen zu schicken – es reichte nicht für einen umfassenden Bericht.[48] Am 27.2. forderte die Stadt ihre Bürger auf, die in der letzten Woche entstandenen   Tumultschäden zu melden – es kam (fast) nichts.[49] Der Essener Schwurgerichtsprozess brachte zutage, dass die Spartakisten 20 – 25 Kilo Butter aus den Lebensmittelbeständen der Stadt (23.7.19) requiriert hatten; 4 Sack Bohnen, 2 Sack Erbsen, einen Sack Hafer luden sie auf ein Auto und transportierten sie ab (2.8.19). Das reichte dem Untersuchungsrichter, um von stattgefundenen Plünderungen, die … aus dem Rathaus mit Automobilen fortgeschafft wurden, zu sprechen (25.7.19).[50] Der Obmann der Bottroper Sicherheitswehr hatte Plünderungen an vielen Stellen beobachtet,[51] blieb aber konkrete Angaben schuldig (26.7.19).[52] Bugsteeg konnte auch nicht viel kriminelle Energie der Spartakisten zusammentragen (S. 37/38). Die Plünderung der Gemeinde Bottrop, die Quasi-Amtmann Brinkmann gesehen haben will und mit der er auch nach seiner Flucht aus dem Rathaus das Lichtschlag-Korps zum sofortigen Eingreifen – im Wortsinne – bekniete (26.2.19), hat es nicht gegeben. Auch seine Aussage gegenüber dem Generalkommando, niemand sei in Bottrop seines Lebens mehr sicher, wird durch die Meldung,[53] dass am 20. und 21.2. viele Neugierige aus der Umgebung Bottrop besuchten, als Fake bewiesen.

Dennoch gelangten die Plünderungen und Räubereien, gesehen durch den Beigeordneten Brinkmann, in den offiziellen Lichtschlag-Bericht (S. 19) und in den Bericht des Untersuchungsausschusses für die Verfassunggebende Preußische Landesversammlung, wurden also quasi amtlich (S. 5612).

3. Alois Fulneczek – der politische Mord

1922, erweiterte Neuauflage 1924, erschien Emil Julius Gumbels Buch Vier Jahre politischer Mord, das einen Bottroper Spartakistenführer überregional bekanntmachte – Maurer Alois Fulneczek. Erschossen hatte ihn in putativer Notwehr, wie ein Militärgericht befand, der Lichtschlager Heuer. Das Bottroper Standesamt bescheinigte, dass Fulneczek am 23.2.1919 um 13:30 Uhr im Gerichtsgefängnis verstorben war. Das Freikorps Lichtschlag, das Mitte Februar in Dorsten 40 revolutionäre Arbeiter getötetund am 19.2. Kirchhellen gesäubert hatte,[54] rückte am 23.2. (Sonntag) gegen 10 Uhr kampflos in Bottrop ein (24.2.19).

3.1 Der große Unbekannte

Die BVZ erwähnte Fulneczek nur einmal, am 24.2. – da war er aber bereits tot, auf der Flucht erschossen am 23.2. von ihn begleitenden Posten des Lichtschlagkorps als er zum Gerichtsgefängnis überführt werden sollte. Es war seine zweite Verhaftung und er hatte noch Waffen bei sich, wie das Blatt hervorhob. Die Gefangennahme erfolgte, weil er den Anordnungen des Militärs nicht Folge leistete. (24.2.19). Ein Fotograf der damals sehr angesehenen Berliner Sennecke-Bildagentur begleitete die Lichtschlag-Truppe und schoss ein Bild des Verhafteten mit seiner Eskorte am (heutigen) Altmarkt  – erkennbar (am Schattenwurf Mitte Februar) um die Mittagszeit.[55]

Auch Spethmann ließ einen der bewaffneten Anführer, Fuldzennek, überrumpeln und bei einer Schießerei … mit dem Posten umkommen – bei ihm in der Nacht vom 23. auf den 24.2.[56] Auf die Version der BVZ beruft sich Hoffmann,[57] amtliche Darstellung nennt er sie, kombiniert sie mit der zweiten Verhaftung und verbindet beide mit dem Geschehen am 19.2.: was nahelegt, dass zuvor … schwerwiegende Anschuldigungen gegen [Fulneczek] vorgebracht worden waren (WAZ: 21.2.2019).[58]

Tatsächlich spielte Fulneczek schon am 19.2. während der Schlacht von Bottrop eine Rolle. Als Kommissar Breuer vor dem Gemeinderat berichtete, die Angreifer hätten nach der Kapitulation gerufen, Spartakisten und Unabhängige heraus, da trat auch Fulneczek vor. Allerdings hieß er im BVZ-Bericht Ackermann – die Redaktion stellte die Verwechselung am 26.3.19 richtig. Fulneczek war also während des Kampfes um das Rathaus im Rathaus. Zufällig kann er nicht dort gewesen sein, sondern gehörte entweder zum Arbeiterrat, zur Sicherheitswehr oder zu den fünf am 17.2. auf Prosper II oder zu den siebzehn in der Nacht zum 19.2. auf Prosper I verhafteten und ins Polizeigefängnis gebrachten Spartakisten.

Für die BVZ war Fulneczek eine Unperson – im Bericht über die Zeit zwischen der Rathauseroberung (19.2.) und dem Einmarsch der Lichtschlagtruppe (23.2.) kommt er nicht vor. Für den neuen A&S-Rat unterzeichnen Battenfeld und Küppers einen Aufruf an die Bevölkerung. Die hier anwesenden Führer der Spartakisten, die sich für die Freilassung der noch in Mülheim gefangenen Gendarmen, Polizei- und Kriminalbeamten einzusetzen versprachen, blieben ebenso konturenlos (22.2.19) wie die Bottroper Spartakisten und Unabhängigen, die am Samstag in Bottrop zurückblieben, nach Abzug der auswärtigen (24.2.19). Auch wer für die Bottroper Spartakisten das Vorfühlen (21.2.) bei den Truppen des Generalkommandos unternommen hatte, bleibt dunkel (24.2.19). Ebenso unbekannt ist, wer auf Bottroper Seite mit dem Lichtschlag-Offizier gesprochen hat, der am 22.2. nach Bottrop gesandt wurde, um über die Besetzung von Bottrop zu verhandeln.[59] Die Waffenstillstandsverhandlungen[60] belegen zwar, dass der Rathaussturm einem gewissen überregionalen Plan folgte und die Versammlung der A&S-Räte in Essen (Baade) und die Neunerkommission (Will) Verbindung zu den Anführern hatten, Will sogar am 22.2. in Bottrop gewesen ist, wo er mit den Führern der drei verschiedenen Richtungen gesprochen hatte, Baade am 22.  noch Verhandlungen führen wollte – ob Fulneczek dabei war, sagten sie aber nicht.

Der offizielle Bericht der Lichtschlagtruppe beschreibt, wie eine Offizierspatrouille

(6 Mann) mit 6 Meldereitern die im Sitzungssaal versammelten Spartakisten überrumpelt hat, dass im Laufe des Tages alle Formationen der Lichtschlager in Bottrop eingetroffen sind und die ganze Stadt nach Waffen durchsucht worden ist. Eine spätere Schilderung der Übernahme Bottrops erwähnt zwei zusätzliche Details:[61] Wie üblich wurde die Stadt nach Waffen und Aufrührern durchsucht[62] und der Kommandeur, Hauptmann Lichtschlag, traf mit zwei Offizieren des Kommandostabes im Auto als erster in Bottrop ein. Ein wild aussehender Pole, Fulneczek, Häuptling der Rotgardisten, stellte sich als Kommandeur von Bottrop vor, worauf Hauptmann Lichtschlag seinerseits das Kommando über Bottrop übernahm; Fulneczek wurde auf der Flucht erschossen.
Selbst als der neue A&S-Rat des Stadtkommandanten Küppers (23.7.19) sich am 22.2. nicht einig war, ob er der Einigung zwischen Generalkommando und Streikkommission folgen sollte, wurde Fulneczek nicht erwähnt, sodass in den Abendstunden Piefke, Ackermann[63] und Sittek ein Flugblatt verteilten, dass mit Hinweis auf den Beschluss der Arbeiter- und Soldatenräte in Essen vom 21. Februar 1919 den Generalstreik bis auf Weiteres für abgebrochen erklärte (24.2.19).[64] Nur Hoffmann weiß, dass Fulneczek offenbar über die gesamte Zeit zu den Wortführern gezählt hatte (S. 14).

3.2 Fulneczeks Balkonrede

In einer Veröffentlichung von 2019 wurde am 19.2.1919 nach der Kapitulation auf dem Rathaus die rote Fahne gehisst. Alois Fulneczek hielt vom Balkon eine Rede,[65]kurz nach den auf dem Rathausvorplatz geschehenen Verbrechen, … womöglich in Sichtweite zu den Erschlagenen. Fulneczek wird so zum Augenzeugen, der zugeschaut aber nicht geholfen und auch später nicht geahndet hat, und damit zum wahren Verantwortlichen für die Toten nach der Kapitulation. Hoffmann braucht Fulneczek, damit die Weste des Freikorps Lichtschlag halbwegs weiß bleibt.[66]

Ich glaube auch, dass Alois Fulneczek eine Rede gehalten hat, in der er die Angreifer beruhigte, die nicht zuletzt durch die nach der Kapitulation auf die Eroberer abgegebenen Schüsse – ein Teilnehmer warf, wie er sagte, noch eine Handgranate – aufgebracht waren. Ob die revolutionären Arbeiter dabei Opfer zu beklagen hatten, erwähnten weder BVZ noch Polizeiinspektion. Mir gefällt auch die Idee, Fulneczek sei der geheimnisvolle Unbekannte, den Wachtmeister Hannemann befehlen lässt, herunter mit den Gewehren!, und der so den schon in Reih und Glied zum Erschießen aufgestellten Beamten das Leben rettete. Leider gibt es keinen historischen Beweis für die Rede – nicht ein Augenzeuge erwähnt sie. Sicher ist aber, dass der, der dem Freikorps als Verhandlungsführer nach dem Rathaussturm gegenübertreten würde, mit dem Schlimmsten rechnen musste.

Alois Fulneczek hat es getan.

4. Aus den Tiefen der Hölle …
Wer die historische Berechtigung einer Revolution verneint oder die Ereignisse von 1918/19 nicht als Revolution anerkennt, kann nur als Aufruhr verstehen, was damals geschah. Die Bottroper Erzählungen über den Rathaussturm aber wollten mehr. Es ist kein Zufall, dass Bottrops damaliger oberster aktiver Polizeibeamter Breuer das Bild wählte der aufgestellten wehrlosen Beamten, die einer nach dem anderen in einer Art geordneten bestialischen Exekution erschlagen wurden, während die Genossen Ender … Banko zusahen. Der Beigeordnete Brinkmann sicherte die Erzählung ab mit der Vermutung, es hätte für die Spartakisten keinen Unterschied gemacht, wenn die Übergabe sofort erfolgt wäre. (27.2.19). Denn (richtige) Menschen waren das ja wohl nicht, die da gehaust, den Massenmord, das Massaker begangen hatten. Nur gelegentlich schimmerte durch den Schirm der monströsen Erzählungen, den die bürgerliche wie MSPD-Presse und die Bergbauverbände über die Ereignisse gespannt haben, hervor, dass die Darstellungen massiv tendenziös waren.

Polizeikommissar Breuer stellte in seinem Bericht keine Vermutungen über die Zahl der Angreifer an. In der BVZ waren es ca. 1.000, für den Regierungspräsidenten 5.000 Spartakisten, die Bottrop besetzt hatten.[67] Tatsächlich waren es kaum 500 Angreifer.[68]
Gewerkschaftsbeamter Veelken – Bottrop wusste, dass wir höchstens 80 Mann zur Verteidigung hatten.[69] Kriminalkommisar Kivelip legte die öffentliche Sicherheit in die Obhut der Polizei, der Gendarmerie und der Sicherheitswehr aus 125 Mann (25.7.19). Das wären gut 200 Mann.[70] Das Verhältnis 2 : 5 zeigt zwar nicht die ungeheure Übermacht der Spartakisten, tut aber der persönliche Tapferkeit der Verteidiger keinen Abbruch (25.2.19). Die Aufgabe eines durch Maschinengewehre in Verteidigungszustand gesetzten Rathauses[71] wegen des sich ausbreitenden Gases in den Räumen klang wohl nicht heldenhaft genug (25.2.19).

Die Toten nach dem Hissen der weißen Fahne sind Opfer eines Missverständnisses geworden. Diese von der BVZ nur unter dem Zwang der Zensur gedruckte, also (einzige) veröffentliche Sicht der Spartakisten, gleicht einer öffentlichen Bitte um Entschuldigung. Das machen Räuber- und Mörderbanden eher nicht. Sie stellen auch kein Ultimatum, das ist das Verhalten sich im Recht sehender (Kriegs-) Parteien. Die auswärtigen Spartakisten haben sich am 22.2. auch nicht feige, wie die BVZ insinuierte, heimlich aus dem Staube gemacht, sondern waren entsprechend der Waffenstillstandsvereinbarungen dazu verpflichtet; die Mörderbanden ersparten so der Stadt zudem die Beschießung durch die Lichtschlager – und die hätten es gründlicher gemacht als die Spartakisten, die, stimmt es, was Bucksteeg berichtet (S. 37), sich erst von einem Kriegsteilnehmer zeigen lassen mussten, wie mit einer Kanone umzugehen war.

Die Gefangenen mussten mit hocherhobenen Händen bis Sterkrade marschieren. Wenn einem von ihnen die Hände erlahmten, erhielt er Kolbenschläge in Rücken und Nacken (25.2.19). Gendarmeriewachtmeister Hannemann ergänzte, dass sie bespuckt und mit Zigarettekippen beworfen wurden. Allerdings gab er im Gerichtsprozess an, sein Geld, erst genommen, zurückbekommen zu haben (26.7.19), während Kommissar Breuer nachdrücklich darauf bestand, daß alle Gefangenen vollſtändig ihres Eigentums beraubt wurden (25.2.19).
Deutlich anders aber durchaus schuldbewusst der Angeklagte Thomas aus Düsseldorf, der etwa 85 Gefangene nach Sterkrade gebracht hatte: Dass auf einige Gefangene anfangs von dem Pöbel eingeschlagen worden ist, habe er … nicht zu hindern vermocht (23.7.19).[72] Mindestens ein Spartakist, Mitglied im A&S-Rat, allerdings sorgte sich um die Familien der Gefangenen und bot deshalb einem von ihnen an, nach Bottrop zu gehen, um die Angehörigen über den Verbleib ihrer Männer/Söhne zu informieren (25.2.19).

Die Bottroper Volkszeitung gab selbst einige Anhaltspunkte dafür, dass die verbreiteten Narrative falsch waren, die über die Bottroper Vorgänge um den 19.2.1919 auch in amtlichen Veröffentlichungen verbreitet wurden. Aber um die historische Wahrheit ging es ja auch gar nicht – hauptsächlich.

Professor Schwarz, Düsseldorf, brachte es auf dem Katholikentag in Bottrop auf den Punkt: Aus den Tiefen der Hölle erhebt sich die Revolution.[73] Und die vier Bergbauverbände erdachten das Abschreckungsmantra: Denkt an die erschlagenen Kameraden in Hervest-Dorsten, Bottrop und Ickern (1.3.19). Es wirkte allerdings nicht. Am 6.4.1919 befanden sich 372.000 Bergarbeiter im Generalstreik. Die Streikenden hatten sich mit den Forderungen der revolutionären Arbeiter solidarisch erklärt (7.4.19).[74]


[1] Bottroper Adressbuch von 1920 – ein begeisterter Zeitgenosse auf Seite XI.

[2] 1. Jb. der Stadt Bottrop 1919/20; S. 194.

[3] 2. Jb. der Stadt Bottrop 1920/23; S. 13,14. Die Werte für 1919 wurden daraus abgeleitet.

[4] Bucksteeg, Josef: Roter Terror und weißer Schrecken, …; S. 35. Standardwerk für die Bottroper Ereignisse.

[5] 1. Jb. der Stadt Bottrop, 1919/20; S. 102/3. Polizeikommissar Breuer gibt 18:00 Uhr für die Kapitualition an.

[6] Eine noch nüchternere Deutung gibt Bucksteeg, der dabei Tampke zitiert: Nach der Kapitulation wurde wieder auf sie (die Angreifer) geschossen, was erneut zu Kämpfen mit schweren Opfern auf beiden Seiten führte.

[7] Der Reichskanzler am 2.12.1914 im Reichstag.

[8] Philipp Scheidemann am 19.7.1917 im Reichstag, auf den Kriegseintritt (Februar/April 1917) der USA anspielend. Die USA hatte die Kriegsgegner (Entente) vom Beginn an mit Kriegsmaterial und Nahrung unterstütz.

[9] Dieser Hinweis auf den Frieden von Brest-Litowsk, in dem das Deutsche Reich Russland einen nahezu idealtypischen Diktatfrieden aufzwang (Leonhard, Jörn: Die Büchse der Pandora, 2014; S. 816/81), muss hier als Beleg genügen.

[10] Die Notation (16.7.17) bedeutet: Das Zitat stammt aus der Bottroper Volkszeitung vom 16.7.1917. Zitate sind kursiv gedruckt.

Bottrop hatte damals eine Zeitung, die Bottroper Volkszeitung, Zentrums-Blatt nach eigenem Bekunden, das von Postberg verlegt und in der betrachteten Zeit von Schriftleiter Michael Haugg gemacht wurde. Sozialistische Zeitungen hätten die SPD-Wähler aus Buer, Essen oder Recklinghausen beziehen können. Verbrieft ist, dass einige Bottroper den Volksfreund aus Recklinghausen lasen. SPD-Mitglieder kannten vermutlich auch den Vorwärts.

[11] BVZ vom 18.11.1918: Die Gewerkschaften hatten dafür zu sorgen, dass beim Achtstundentag eine Verminderung der Arbeitsleistung nicht eintreten werde und Eingriffe in den Betrieb unbedingt zu vermeiden sind. Zudem sollte die Verringerung der Arbeitszeit davon abhängen, dass die notwendigen Arbeiter auch verfügbar wären, andernfalls Überstunden gemacht werden müssten. Am 13.12. stimmten die Gewerkschaften zu, dass Lohnerhöhungen nur kommen sollten, wenn die Bergarbeiterverbände entsprechende Preiserhöhungen für Kohlen, Koks und Briketts mit den Zechenbesitzern durchsetzen werden (17.12.18). Am 9.1. akzeptierten die Bergarbeiterorganisationen als Vorbedingung für eine Sonderzuwendung einen 30 Millionen Staatskredit an die Bergbauunternehmen (11.1.19). Alle diese Vereinbarungen ließen den Arbeitgebern eine Tür offen, sie nicht einzuhalten. Der ADGB (Allgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund), Dachverband der Freien Gewerkschaften, brauchte bis Januar 1924, um zu realisieren, dass die Arbeitgeberverbände die Gewerkschaften nur hingehalten hatten – er verließ die gemeinsame Arbeitsgemeinschaft (ZAG).

[12] Friedrich Ebert verwies aber auf das abschreckende Beispiel Russland, von dem die deutschen Revolutionäre den Namen Räte übernommen hatten, mit dem die deutschen Räte aber die Vorstellung von Basisdemokratie verbanden.

[13] Ähnlich war es in Münster, Recklinghausen, Haltern, Gladbeck, Buer, Gelsenkirchen, Oberhausen, Essen.

[14] So unspektakulär beschreiben die Sitzungsberichte des Arbeiter- und Soldatenrates in Bottrop den Ausbruch der Revolution in Bottrop am 9.11.1918 – Stadtarchiv, B III 32, 25.

[15] Arbeiterausschüsse waren im Stinnes-Legin-Abkommen vereinbart, Vorläufer der heutigen Betriebräte.

[16] Am 10.11. lag die politische Gewalt in Händern der Arbeiter- und Soldatenräte (12.11.18). Sie versammelten sich im Zirkus Busch und gaben dem Land eine Regierung, den Rat der Volksbeauftragten; der stellten sie den Vollzugsrat zu Seite, mit dem sie die Regierung kontrollieren wollten: Die Revolution hatte die Regierungsgewalt übernommen. Die A&S-Räte-Versammlung war MSPD-dominiert, Rat und Vollzugsrat paritätisch von MSPD und USPD besetzt.

[17] Die Ereignisse in Berlin wurden in Bottrop aufmerksam verfolgt, können aber nur angedeutet werden. Niess, Wolfgang: Die Revolution von 1918/19, 2017, beschreibt sie lesenswert auf den Seiten 199 – 213 und 252 – 270.

[18] Während der BVZ erst am 25.1. auffiel, dass Korbel am 10.1. zum Rauben und Plündern angetreten war, meldete die Polizeiinspektion (1. Jb.,1919/20; S. 102), dass Korbel sich am 7.1. mit ca. 100 … bewaffneten Spartakisten in den Besitz des Rathauses setzen wollte. Das Jahrbuch erwähnte den Zusammenhang mit der geforderten Neuordnung des A&S-Rates.

[19] Bucksteeg, Josef: …; S. 59.

[20] Generell erweckt die BVZ den Eindruck zu berichten, was sie gesehen oder recherchiert habe; tatsächlich gibt sie weitgehend die Meldungen des Militärs/der Polizei unreflektiert wieder. (S. Bucksteeg, S. 45/46)

[21] Schulze-Pfaelzer, Gerhard: Von Spa nach Weimar; S. 233/234.

[22] Gustav Noske wurde Anfang 1919 Volksbeauftragter für Heer und Marine, dann Reichswehrminister.

[23] Wilhelm Reinhard (die BVZ schrieb Reinhardt), Oberst, baute die Freiwilligen-Korps auf. Reinhard war am Kapp-Putsch beteiligt und reüssierte bei der SS.

[24] BVZ vom 23.11.1918: Die Regierung an die heimkehrenden Krieger.

[25] Niess, Wolfgang: Die Revolution von 1918/19, 2017; S. 355-357.

[26] Der vorgeschobene Grund für das drakonische Eingreifen war der Mord an einem Bergwerksbeamten. Die Lichtschlager töteten 40 Bergleute (Bucksteeg; S. 26)..

[27] In der Verhandlung vor dem Schwurgericht in Essen (11.7.19) (Schwurgerichtsprozess) waren die Spartakisten auf dem Weg nach Dorsten; Kommissar Breuer am 25.2. vor dem Gemeinderat und die Polizeiinspektion (1. Jb.; S. 102) hatte die Spartakisten auf dem Rückweg von Dorsten angetroffen.

[28] Die Polizeiinspektion erzählte die Begebenheit deutlich anders (1. Jb.; S. 102). Der Essener Schwurgerichtsprozess (11.7.19) stützte die BVZ-Version.

[29] Hegermann meinte den Beigeordneten Rechtsanwalt Dr. Ewald Brinkmann, Bottrop, der seit dem 1.6.1918 die Geschäfte der Verwaltung führte. Zur Seite stand ihm seit Oktober 1918 der (zweite) Beigeordnete, Gerichtsassessor Emil Schmitz (1. Jb. der Stadt Bottrop, 1919/20; S. 27/28).

[30] Beamte meinte die Polizeibeamten, nicht die Mitarbeiter der Verwaltung,

[31] Gemeindeverordneter Hermann Hegermann/Lange-Hegermann, Gemeindeverordneter seit 1912, war der Organisator des bürgerlichen Widerstandes gegen die Revolution in Bottrop. Maßgeblich mit ihm stritt für das Zentrum Redakteur Haugg, Bottroper Zentrums-Vorsitzender, Vorsitzender des Zentrumsvereins, in dessen Vorstand alle Geistlichen Bottrops mitarbeiteten, und Vorsitzender des Bürgervereins.

[32] Vor dem Schwurgericht in Essen hörte sich das beim Bottroper Gefangenenaufseher Stumpe ganz anders an: Nach der Übergabe verlangten bewaffnete Leute die Auslieferung der Gefangenen, die ihnen durch den Richter sofort übergeben wurden (29.7.19).

[33] Am 26./27.3. räumte die BVZ ein, dass Ackermann eine Verwechselung mit Fulneczek gewesen war.

[34] Hoffmann, Rene´: Das Bottroper Rathausmassaker vom 19. Februar 1919, 2019; S. 11.

[35] Hoffmann, Rene´: …; S. 11. Hoffmann verschweigt systematisch die Zeugen, die nur von einem oder gar keinem Toten durch die Kolben-Torturen sprechen; die Quellen, die ihm genehm sind, übernimmt er dann allerdings völlig unkritisch

[36] Die vier Bergarbeiterverbände: Verband der Bergarbeiter Deutschlands, Gewerkverein christlicher Bergarbeiter, Gewerkverein H(irsch).-D(dunker)., Abteilung Bergarbeiter, Polnische Berufsvereinigung.

[37] Die erste freie, gleiche und geheime Kommunalwahl fand in Bottrop am 9.3.1919 statt. Ernst Ender war einer der vier Gemeindevertreter der USPD. Insgesamt gab es 54 Stadtverordnete, von denen das Zentrum 24, die Polen-Partei 17, die MSPD 6 und DVP und DDP zusammen 3 stellten.

[38] Bericht des Westfälischen Freiwilligen-Korps Lichtschlag … vom 13.12.1919; Stadtarchiv.

[39] 1. Jb. der Stadt Bottrop, 1919/20; S. 101 – 103.

[40] Schulze-Pfaelzer, Gerhard: Von Spa nach Weimar, Berlin 1929.

[41] Schulze-Pfaelzer: …; S. 273, meinte vermutlich den Streikbeschluss/Streikbeginn vom 17.2.1919.

[42] Der amtliche Bericht des Polizeidezernenten von Recklinghausen Land an den Regierungspräsidenten (Drucksache 3228): 30 Personen, …, wurden in rohester Weise mit Esſenſtangen und Knüppeln niedergeschlagen. (Bericht des Untersuchungsausschuses … an die Verfassunggebende Preußische Landesversammlung, Drucksache 3228).

[43] Hoffmann, Rene´: …; S. 10, hält Schulze-Pfaelzers Darstellungen für bemerkenswert ausgewogen.

[44] Reininghaus, Wilfried: Die Revolution von 1918/19 in Westfalen Lippe als Forschungsproblem, Münster 2016; S. 61/62.

[45] Laut Polizeiinspektion wurden vier Polizeibeamte getötet – einer davon vor der Kapitulation.

[46] Zeuge Polizeikommissar Hoße im Schwurgerichtsprozess erklärte die Machtbefugnisse in Sachen Ultimatum: Beigeordneter oder Polizeikommissarin Absprache mit Soldatenrat. Selbst das 1. Jahrbuch, S. 7, nennt die Einlassungen des Beigeordneten Dr. Brinkmann … Rechtfertigungsrede.

[47] Eine besonders perfide, Interpretation dieser Bedingungen gibt Hoffmann, Rene´: …; S. 5. Er deutet die Revolution von 1918/19 kurzerhand als gewaltsame Umsturzbestrebungen … mancherorts auf eigene Rechnung operierender Verbrecherbanden, … die vorrangig Luxusartikel zu Hehlerzwecken gestohlen oder gar gelagerte Lebensmittel vernichtet haben, um so schneller weitere Massenradikalisierung herbeizuführen, und damit auch noch die Hungerblockade der englischen Sieger unterstützten.

[48] Kommissar Breuer sagte vor dem Schwurgericht in Essen, es seien 700.000 Gebäude- und 800.000 andere Schäden entstanden. Welche Schäden Plünderung und Raub verursacht hatten, sagte er nicht (6.8.19).

[49] Am 29.4. beriet der Gemeinderat über die Entschädigung der Tumultschäden; er meinte damit die den Rathaus-Beamten abhandengekommenen persönlichen Gegenstände und Geldbeträge (54.000 Mark). Ein Beamter, der ein Maschinengewehr bedient hatte, erinnerte sich, dass ihm nach dem Herausklettern aus dem Kellerfenster 73,04 Mark abgenommen wurden (25.2.19). Damals eine sehr große Summe – in den Taschen eines Verteidigers des Rathauses.

[50] Der Polizeidezernent Recklinghausen-Land schrieb es dem Regierungspräsidenten – und so gelangte es in die Drucksachen der Verfassunggebenden Preußischen Landesversammlung (Drucksache 3228): Die Spartakisten plünderten hierauf das Amtshaus vollständig aus (S. 5612).

[51] 40 Flaschen Kognak im Hotel Mostert beschlagnahmt, ausgetrunken (8.8.19).

[52] Auf Prosper sollen Waren für 58.000 Mark gestolen worden sein (27.8.19).

[53] Bucksteeg, Josef: …; S. 42.

[54] Bucksteeg, Josef: …; S. 26/27.

[55] Die Sonnecke -Agentur belieferte auch ausländische Nachrichtenagenturen mit aktuellem Fotomaterial von Ereignissen und Personen des Zeitgeschehens; sie beschäftigte mehrere namhafte Pressefotografen (wikipedia). Am 24.2. erschienen in einigen Zeitungen der Umgebung Bottrops gleichlautende Meldungen über Verhaftung und Tod Fulneczeks, der in allen Fuldzennek hieß, am 25./26.2 sogar in Zeitungen der USA (Aydin, Sahin: Alois Fulneczek, Eine Dokumentation, 2015). Das lässt darauf schließen, dass die Sennecke-Agentur die Quelle der Meldung war, die ihre Angaben von Lichtschlag hatte, die auch die BVZ in ihrem Bericht spiegelte.

[56] Spethmann, Hans: Zwölf Jahre Ruhrbergbau 1914 bis 1925; S. 223.

[57] Hoffmann, Rene´: Ungeklärt: Tod im Gerichtsgefängnis, WAZ Bottroper Teil vom 21.2.2019. Die WAZ veröffentlichte drei je halbseitige Beiträge Hoffmanns (19.2., 21.2., 26.2.) – die Überschriften sind wohl von der Zeitung getextet worden. Abgeschlossen wurde die Trilogie mit einem Bericht über die Kontroverse, die Hoffmanns Vortrag zum Thema 100 Jahre Novemberrevolution … für die Historische Kommission für Westfalen am 10. Mai 2019 in Bottrop hervorgerufen hatte.

[58] Die BVZ gibt keinen Hinweis auf die erste Verhaftung: Zwischen dem Einmarsch der Lichtschlagtruppe und dem Tod Fulneczeks vergingen maximal 3,5 Stunden – zu wenig Zeit für zwei Verhaftungen. Dass die erste während der Herrschaft der Spartakisten stattfand, ist eher unwahrscheinlich; sie muss darum vor dem 19.2. gelegen haben, kann also mit den Ereignissen am Abend des 19.2. nichts zu tun haben.

[59] Westfälisches Freiwilligen-Korps Lichtschlag: Bericht über Unterkunft und Kampftätigkeit des Korps vom 14.12.18 – 1.10.19, Münster, den 13.12.19; S. 19. Stadtarchiv.

[60] Abgedruckt in Abelshauser/Himmelmann: Die Revolution in Rheinland und Westfalen, 1988; S. 61 – 85. Die Verhandlungen fanden am 21., 22. und 27.2.1919 in Münster statt.

[61] Mahnken, Heinrich: Der erste Hammerschlag in Salomon, Ernst: Das Buch vom deutschen Freikorpskämpfer, 1928; S. 81-86.

[62] In der schon wiederholt zitierten Drucksache 3228 (S. 5613): Auslieferung der Rädelsführer.

[63] Ob Ackermann auch hier eine Verwechselung mit Fulneczek war, ist nicht bekannt.

[64] Der Abbruch des Generalstreiks war eine der Bedingungen der Waffenstillstandsverhandlungen. Die Truppen der Aufständischen sollten zurückgezogen werden wie auch die Regierungstruppen. Von Watter dachte aber gar nicht daran, die Vereinbarungen zu halten, sondern verlangte am 22.2. erst die Abgabe aller Waffen der Aufständischen; außerdem teilte er mit, dass seine Truppen in jedem Fall am 23.2. in Bottrop einmarschieren und auch Buer besetzen würden. Trotzdem behaupteten er und die Presse, die Aufständischen hätten die Vereinbarungen gebrochen. Der Bericht des Untersuchungsausschusses macht zudem klar, dass die Waffensillstandsverhandlungen nur dazu dienten, Zeit zu gewinnen, weil das Generalkommando sich am 19.2. noch nicht zu einem weiteren Kampf in der Lage sah (S. 5613).

[65] Hoffmann, Rene: …; S. 14. Diese Rede ist der zeitlich erste Auftritt Fulneczeks beim Autor; dass Fulneczek während des Kampfes im Rathaus war, weiß/erwähnt Hoffmann nicht.

[66] Das ist ihm so wichtig, dass er erst den Tod Fulneczeks durch Erschießen eines Lichtschlagers in Notwehr beweist, dann aber Lynchjustiz durch einige der schwer traumatisierten Bottroper Polizeibeamten unbestreitbar nicht ausschließen mag (S. 14, 15).

[67] Abgedruckt in Drucksache 3228, S. 5613/13.

[68] Der Schwurgerichtsprozess in Essen näherte sich der Zahl der Angreifer, mehrere Hundert, in drei Schritten:

1. Die Angeklagten: Eine große Anzahl der Aufrührer wurde festgenommen (18.7.19), nämlich 308. Die Differenz zwischen große Anzahl und alle müsste schon 40% betragen, wenn es 500 Aufrührer sein sollten.

2. Die Angreifer: Das Gericht versuchte festzustellen, wieviele Angreifer aus den Städten herangeführt worden sind: 400; davon sind nach den Zeugenaussagen 108 Mann erst nach der Kapitulation eingetroffen.

3. Die Versorgten: Ein Zeuge wusste, dass 500 Spartakisten im evangelischen Gemeindehaus und Kolpinghaus untergebracht worden waren.

[69] Veelkens Schreiben vom 16.6.1919, abgedruckt in Drucksache 3228 …; S. 5616.

[70] Kivelips Sicherheitswehr vor dem Essener Gericht und die Polizei aus dem 1. Jb.; S. 101.

[71] 1. Jb.; S. 102.

[72] Was auf dem Weg von Bottrop Mitte bis Sterkrade Mitte, immerhin 8-10 km, wirklich passiert ist, kann man heute nicht mehr zweifelsfrei ermitteln. Der/Die Leser*in darf – auf Nuancen achtend – selbst urteilen.

[73] Professor Schwarz hatte bei seiner Philippika über das religionslose Kind allerdings nicht den Rathaussturm, sondern die Trennung von Kirche und Staat und den Religionsunterricht in der Volksschule im Sinn (23.9.19).

[74] Dem Streik der Berarbeiter schlossen sich andere an; er dauerte fast einen Monat, obwohl die Streikenden keinerlei finanzielle Unterstützung bekamen und die Lichtschlagtruppe am 15.4. die gesamte Streikkonferenz des Ruhrbergbaus (etwa 400 Mann) nach Beschießen mit Maschinengewehren und Kanonen gefangennahm, einige mehr oder weniger schwer verwundet (16.4.19).

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